Stress und Unruhe waren auch schon vor Corona Symptome, die sich auf unseren Körper ausgewirkt haben. Doch vor allem seit die Welt ein wenig Kopf steht, ist unser Nervensystem mit extremen Herausforderungen konfrontiert. Rausgerissen aus unserem gewohnten Alltag, befindet sich unser System in einer Ausnahmesituation und das auch, obwohl Corona uns mittlerweile fast ein Jahr begleitet. Bei mir wirkt sich das vor allem in Unruhezuständen und Schlafproblemen aus. Wenn es dir ähnlich geht und es dir schwer fällt zur Ruhe zu kommen und Entspannung zu finden, dann habe ich im folgenden Beitrag 6 Tipps für dich, wie du dein Nervensystem beruhigen kannst.
*(Achtung! Ich bin keine Spezialistin. Dieser Beitrag ist in Absprache mit Rolferin und Heilpraktikerin Susan Michel entstanden. Jede*r kann diese Tipps nach Bedarf anwenden, jedoch ist es wichtig sich professionelle Hilfe zu holen, wenn du merkst, dass du dich alleine mit der Situation überfordert fühlst. Hierfür habe ich dir am Ende dieses Beitrags Anlauf- und Beratungsstellen in ganz Deutschland verlinkt.)
Unser vegetatives Nervensystem lässt sich in den sympathischen und parasympathischen Modus einteilen. Hierbei wird der sympathische Modus gefordert wenn wir in Aktion sind, zum Beispiel wenn wir gestresst sind, wenn wir uns konzentrieren müssen, körperlich aktiv oder in Gefahr sind. Hingegen wird der parasympathische Modus aktiviert wenn wir uns entspannen. Beispielsweise, wenn wir uns sicher und wohlfühlen, wenn wir uns ausruhen, schlafen gehen, sowie wenn wir wohltuenden Kontakt mit unseren Freund*innen genießen.
Sympathikus und Parasympathikus sind Teil des fließenden Rhythmus von Anspannung und Entspannung, der in allem Leben enthalten ist
Während der sympathische Modus mit einer erhöhten inneren Anspannung einhergeht, wodurch unsere Energie mobilisiert wird, um schnell und fokussiert handeln zu können (was auch als innere Nervosität erlebt werden kann), manifestiert sich der parasympathische Modus durch eine vermehrte Entspannung im Körper. Der Atem wird tiefer und langsamer, der Herzschlag beruhigt sich, die Verdauung, die im sympathischen Modus gestoppt wurde, setzt wieder ein und das Immunsystem kann wieder vollständig arbeiten.
Im besten Fall sind Sympathikus und Parasympathikus in einem ausgewogenen Gleichgewicht und werden somit je nach Bedarf und Situation aktiviert. Bildlich können die beiden Modi als Gas- und Bremspedal betrachtet werden, wobei du je nach Lebensphase entweder in die Aktivität und Leistungsbereitschaft oder Entspannung und Ruhe kommen kannst. Wenn der Sympathikus aktiv ist, wird der Parasympathikus heruntergefahren und umgekehrt.
Wenn du dein Gaspedal dauerhaft gedrückt hältst führt dies zu Nervosität und Unruhe im Körper
In unserer leistungsorientierten Gesellschaft war es auch schon vor Corona der Fall, dass der sympathische Modus des vegetativen Nervensystems mehr beansprucht wurde, als sein parasympathisches Pendant. Doch vor allem aufgrund der derzeitigen Situation kommen du und ich noch schwieriger in Entspannungsphasen. Nicht zuletzt, weil Arbeit und Freizeit im Homeoffice gefühlt ineinander verschwimmen.
Im Folgenden habe ich somit 6 Tipps um dein Nervensystem zu beruhigen. Hierbei hast du die Möglichkeit deinen Parasympathikus zu aktivieren, um wieder mehr Ruhe in dein System einzuladen.
1. Atemregulation// Meditation
Hört sich erst einmal banal an, kann aber Wunder bewirken. Vor allem die Zwerchfellatmung, bei der du tief in den Bauch einatmest, hilft dir dabei deinen Vagusnerv – der größte Nerv des Parasympathikus – zu aktivieren und somit in die Entspannung zu kommen.
Lege dich dafür auf deine Yogamatte, oder deine Couch (je nachdem wie weich diese ist). Es empfiehlt sich nicht zu weich zu liegen, damit du dein Körpergewicht auf der Unterlage spüren kannst und du merkst wie dieses bei der Ausatmung an die Couch oder den Boden abgegeben werden kann. Achte bei der Einatmung darauf tief in den Bauch zu atmen – so, dass sich deine Bauchdecke nach oben wölbt. Die Ausatmung sollte möglichst lang und langsam sein. Versuche dabei, dein Brustbein sinken zu lassen, sowie dein Körpergewicht in die Unterlage abzugeben, damit sich der Parasympathikus aktiviert und du zur Ruhe kommen kannst.
Auch durch Meditation kannst du deine Atmung regulieren, um so in die Entspannung zu kommen
Wer kennt das nicht. Die Gedanken rasen und sie wollen einfach nicht aufhören Unruhe in unserem Kopf zu stiften. Meistens geht diese gedankliche Nervosität mit einem erhöhten Puls und einer gesteigerten Atemfrequenz einher. Meditation kann dir hierbei helfen Ordnung in deine Überlegungen zu bringen, um so deinen Atem zu regulieren. Setze dich dabei in einen komfortablen Sitz auf einen Yogablock oder ein Meditationskissen. Spüre deine Sitzbeinhöcker auf deiner Sitzunterlage und verlängere deine Wirbelsäule über deinen Scheitel nach oben. Wachse bei jeder Einatmung über die Wirbelsäule Richtung Scheitel während du deine Sitzbeinhöcker mehr und mehr erdest. Bei jeder Ausatmung sinke tiefer in deinen Körper und versuche Punkte der Anspannung loszulassen.
Du kannst für dich meditieren, in dem du versuchst den Fokus immer wieder gezielt auf deine Atmung zu richten und Gedanken, die aufkommen, wie Wolken vor deinem inneren Auge vorbei ziehen zu lassen. Oder du machst eine angeleitete Meditation, was vor allem für den Einstieg leichter ist.
In unserem Kale&Cake Podcast findest du vier angeleitete Meditationen mit Sinah. So kannst du dir langfristig deine eigenen Meditations Praxis aufbauen. Außerdem gibt es zahlreiche Apps, mit welchen du angeleitet Meditationen machen kannst. Sinah und ich meditieren zum Beispiel gerne mit der App von Deepack Chopra.
2. Körperteile schwer werden lassen
Wenn du merkst, dass es dir gut tut, deinen Körper schwer werden zu lassen, um in einen Entspannungszustand zu kommen, dann kannst du diese Methode mit den folgenden Tipps noch vertiefen.
Lege dich dafür wieder auf deine Yogamatte oder Couch. Achte nun darauf, dass du bei deiner Ausatmung deine Schultern, dein Becken und deine Fersen in die Unterlage sinken lässt und an diesen Punkten schwer wirst. Gebe dein Körpergewicht bei jeder Ausatmung an den Boden, bzw. die Couch ab, sodass du die Anspannung in deinem Körper loslassen kannst. Achte bei der Ausatmung auch darauf deinen Bauchraum fallen zu lassen, sodass du deine Atmung fließen lassen kannst.
Versuche dich auf deinen Kopf separat zu konzentrieren. Lasse diesen vorerst schwer werden und stelle dir vor, wie dein Gehirn in deinem Schädel nach hinten sinkt. Von der Idee her möchtest du Volumen in deinem Kopf kreieren. Atme hierfür in deine Schläfen und habe das Gefühl bei der Einatmung Weite in deinem Kopfraum zu schaffen. Bei der Ausatmung lasse deine Augen in die Augenhöhlen sinken. Entspanne bei deiner langen und langsamen Ausatmung auch deinen Kiefer und lasse deine Zunge weich werden. Wenn du wie ich Probleme beim Einschlafen hast, empfiehlt es sich diese Übung im Bett zu machen.
3. Yoga Praxis
Manchmal fühlt man sich derartig unter Strom, dass an Entspannung und Loslassen nicht zu denken ist. Wenn du dich zu überdreht fühlst, um dich einfach auf deine Matte oder Couch zu legen und dein System mit Atemübungen zu regulieren, dann empfiehlt es sich vorweg eine physisch anstrengende Yogapraxis zu machen.
Indem du deinen Körper physisch forderst und deine Muskulatur aktivierst, kann es dir danach leichter fallen in die Ruhe zu kommen, um so überschüssige Anspannung in deinem Körper gehen zu lassen.
Falls du keine Zeit für eine gesamte Yogapraxis hast, dann empfehlen sich zur Entspannung des Nervensystems auch Umkehrhaltungen, wie Viparita Karani oder Balasana (Kindhaltung). Für mehr Infos zur harmonisierenden Wirkung von Umkehrhaltungen gibt es außerdem einen spannenden Artikel, den du hier findest.
Wenn du dich gleich zu einer unserer Stunden anmelden möchtest, dann kommst du hier zu unserem Stundenplan und unserer Videothek.
4. Übung um den Vagusnerv zu aktivieren
Falls dir die Zwerchfellatmung schwer fällt und du den Vagusnerv noch gezielter aktivieren möchtest, um in die Entspannung zu kommen, kannst du folgende Übung machen.
Der „halbe“ Salamander – nimm hierfür eine bequeme Haltung im Sitzen ein.
- Blicke nach rechts ohne den Kopf zu drehen.
- Ohne die Position deiner Augen zu verändern, neige deinen Kopf nach rechts, sodass dein rechtes Ohr näher zur rechten Schulter kommt. Wichtig! Nicht die Schulter anheben, um sie näher zum Ohr zu bringen.
- Halte den Kopf 30 bis 60 Sekunden in dieser Position.
- Bringe deinen Kopf zur Mitte zurück und blicke mit den Augen wieder gerade aus.
- Wiederhole die Übung zur linken Seite in derselben Weise (zunächst nach links schauen, dann deinen Kopf nach links neigen).
In der zweiten Variante des „halben“ Salamanders wiederholst du die erste Variante mit einer Modifikation. Anstatt dass deine Augen in die gleiche Richtung blicken, in die du auch deinen Kopf neigst, blicken diese nun in die entgegen gesetzte Richtung. D.h. wenn du deinen Kopf nach rechts neigst blicken deine Augen nach links und umgekehrt. Führe die zweite Variante des „halben“ Salamanders auch einmal zur rechten Seite (Augen blicken nach links) und zur linken Seite (Augen blicken nach rechts) aus. Halte dabei den Kopf auf beiden Seiten 30 bis 60 Sekunden in dieser Position.
5. Füße mit heißem Sesamöl einmassieren
Obwohl wir jeden Tag auf unseren Füßen stehen und gehen, werden diese treuen Begleiter oft in der Pflege vernachlässigt und als selbstverständlich gesehen. Wenn du nicht nur deinem Parasympathikus, sondern auch deinen Füßen etwas Gutes tun möchtest, dann empfiehlt sich diese entspannende Fußmassage. Sie ist eine Unterform von der im Ayurveda am häufigsten angewendeten Abhayanga Massage (Ganzkörper-Öl-Synchronmassage).
Wärme für die Massage Sesamöl oder Ghee auf Körpertemperatur an. Verteile dann das Öl großzügig auf deinen Füßen. Massiere das Öl in kreisenden Bewegungen in dein Sprunggelenk und dann in jedes einzelne deiner Zehngelenke. Schiebe dann deinen Zeigefinger nacheinander in jeden Zehenzwischenraum. Bewege ihn hierbei kräftig hin und her. Danach massiere das Öl mit beiden Händen gleichzeitig in deine Fußsohle und deinen Fußrücken ein. Variiere hier mit der Intensität des Drucks, je nach dem was sich für dich gut anfühlt. Beende die Massage mit langsamen, ausstreichenden Bewegungen.
6. Rolfing
Rolfing ist ein ganzheitlicher körpertherapeutischer Ansatz, der in den 1950er Jahren von Dr. Ida Rolf in den USA entwickelt wurde. Hierbei wird u.a. mit dem Fasziennetz des Körpers gearbeitet, um den Körper am Ideal der senkrechten Linie in der Schwerkraft auszurichten, wobei Bewegungseinschränkungen entlastet werden. Außerdem werden so Stresszustände, die im Körper über Kompensationen und Gewohnheitshaltungen entstehen gelindert, um deinem System dabei zu helfen wieder in die Entspannung zu finden.
Susan Michel leitet die Yogatherapie Ausbildung bei Kale&Cake, welche ab 20.02. wieder stattfindet. Falls du mehr über ihre Arbeit als Rolferin erfahren möchtest, oder selbst Interesse daran hast eine Rolfing-Session bei ihr auszumachen, dann kommst du hier zu ihrer Webseite. Vor allem wenn du das Gefühl hast, selbst nicht in die Regulierung deines vegetativen Nervensystems zu kommen, kann Rolfen eine gute Methode sein, um dir externe Unterstützung zu holen.
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* Wenn du jemanden zum Reden brauchst oder merkst, dass du alleine mit deiner Situation nicht zurecht kommst, dann kannst du dich an diese Beratungsstellen wenden:
- Telefonseelsorge – Anonyme Beratung (persönlich, am Telefon, im Chat oder per Email)// 24 Stunden am Tag, kostenlos aus ganz Deutschland// Tel: 0800 – 111 0 111 (evangelisch) oder 0800 – 111 0 222 (katholisch) // www.telefonseelsorge.de
- Info-Telefon-Depression für Betroffene und Angehörige// Tel: 0800 – 334 4 533 // www.kompetenznetz-depression.de
- Notfalltelefon Suizid Deutschland// Tel: 030 – 873 0 111 // www.krisen-intervention.de
- Außerdem findest du über www.psychnet.de Psychiatrische Notaufnahmen in ganz Deutschland die du im Notfall aufsuchen kannst.
Ortsspezifisch in München:
- Krisendienst Psychiatrie // Plinganserstraße 33, 81369 München // Tel: 0810 – 655 3 000
- Krisenambulanz des Atriumhauses // Bavariastraße 11 // Tel: 089 – 76 78 0
- Suchthotline München // 089 – 28 28 22
- Die Arche (Notfalltelefon für Suizidgefärdete) // Tel: 089 – 33 40 41
Geschrieben von: Raphaela Baumgartner und Lili Borgwardt
Alle Fotos sind von Susanne Schramke: https://susanneschramke.com